Wieviel Neubau braucht Berlin bis 2030?

Das derzeit in den Koalitionsverhandlungen diskutierte Neubauziel von 20.000 Wohnungen pro Jahr basiert auf der Erwartung, dass sich Berlin – bezogen auf den Stand des Einwohnermelderegisters – zur Vier-Millionen-Metropole entwickelt und damit die Einwohnerzahl bis 2030 um 230.000 Menschen steigt.

Auf Basis einer Überprüfung der Bevölkerungsprognose von 2019 (die von 3,925 Mio. Einwohnern im Jahr 2030 ausging) erwartet der Senat zwar nach zwei Jahren Stagnation wieder eine positive Bevölkerungsentwicklung in den kommenden Jahren. Jedoch rechnet er aufgrund der nicht in die Prognose einkalkulierten Auswirkungen der Corona-Pandemie „nur“ noch mit 3,885 Mio. Einwohnern im Jahr 2030, 115.000 Menschen mehr als Ende 2020.

Entsprechend geht die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf Grundlage einer Aktualisierung der Bedarfsberechnungen des Stadtentwicklungsplans Wohnen von einem Neubedarf von 121.000 Wohnungen ab dem Jahr 2022 aus (ca. 137.000 Wohnungen ab 2021 unter der Annahme, dass 2021 16.000 Wohnungen fertiggestellt werden).

Der tatsächliche Bedarf dürfte auch bei Eintreffen dieser Bevölkerungsprognose deutlich niedriger liegen. Die bisherigen Bedarfsrechnungen gehen davon aus, dass die durchschnittliche Haushaltsgröße von 1,75 Personen pro Haushalt weitgehend stabil bleibt. Dagegen ist nach den statistischen Erhebungen des Mikrozensus festzustellen, dass sich die durchschnittliche Haushaltsgröße auf 1,79 Personen pro Haushalt erhöht hat. Nach der Haushaltsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes für die Jahre 2019 bis 2040 hält dieser Trend an, danach wird die durchschnittliche Haushaltsgröße bis 2030 auf 1,81 Personen pro Haushalt steigen. Grund dafür ist ein höherer Anteil von Personen, der in Mehr-Personenhaushalten lebt. Plastisch gesprochen: Mehr Familien und Lebensgemeinschaften
brauchen mehr große, aber insgesamt weniger Wohnungen. Legt man die Ergebnisse des Mikrozensus und der Haushaltsvorausberechnung vorsichtig zu Grunde (Steigerung der durchschnittlichen Haushaltsgröße von 1,77 auf 1,80 Personen pro Haushalt), sinkt der rechnerische Neubaubedarf um ca. 39.000 Wohnungen. Dies zeigt: auch bei einer Orientierung der Baupolitik am von der Senatsverwaltung ermittelten Neubaubedarf von 121.000 bzw. 137.000 Wohnungen besteht noch ein erheblicher Puffer, sofern die tatsächliche Bevölkerungsentwicklung höher als angenommen ausfällt. Die Zunahme der Mehr-Personenhaushalte macht aber auch deutlich, dass es dringend geboten ist, die Wohnungsbauziele nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ am zukünftigen Bedarf
auszurichten und zielgruppenspezifische Handlungsstrategie für eine bezahlbare und angemessene Wohnungsversorgung zu entwickeln, orientiert an den vielfältigen, sich über die Lebensphasen verändernden Ansprüche der Menschen in der Stadt.

Die Analyse zeigt zudem auf, dass es dringend notwendig ist, dass sich Senat und Bezirke insbesondere auf die kurzfristig realisierbaren Wohnbaupotenziale konzentrieren. Im letzten Jahrzehnt hielt der Wohnungsbau mit der Bevölkerungs- und Haushaltsentwicklung nicht Schritt. Um den Wohnungsmarkt zu entspannen, besteht ab 2021 weiterhin ein Nachholbedarf in Höhe von 70.000 (StEP Wohnen) bzw. 44.500 Wohnungen (unter Einbeziehung der Veränderung der durchschnittlichen Haushaltsgröße). Dieser Nachholbedarf ist grundsätzlich durch den Bauüberhang an genehmigten und sich zum größten Teil in Bau befindlichen Wohnbauprojekten gedeckt (insgesamt 65.000 Wohnungen), die Realisierung erfolgt jedoch im Vergleich zu früheren Bauzyklen und anderen Städten nur schleppend.

Dagegen muss sich die langfristige Absicherung von Wachstumspotenzialen endlich von der bisherigen Fixierung auf immer neue Flächen für den Wohnungsbau lösen. Eine Endlos-Diskussion um eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes, der Elisabethaue und weiterer Grün- und Freiflächen bindet viel Energie aller beteiligten Akteuren, die besser in der Entwicklung von kurzfristig wirksamen Handlungsstrategien für eine ökologische und klimaneutrale Stadtentwicklungspolitik investiert wären. Neben dem Bedarf an bezahlbarem Wohnraum besteht vor allem die Herausforderung, den Berliner Gebäudebestand fit für die Zukunft zu machen. Obwohl der Gebäudesektor fast fünfzig Prozent der CO2-Emissionen verursacht, kommen die energetische Sanierung und der Umstieg auf erneuerbare Energien
kaum voran. Zunehmende Hitzewellen und Starkregenereignisse erfordern zudem eine Begrünung von Gebäuden sowie bessere Versickerungsmöglichkeiten von Niederschlägen im Boden. Zudem steigt durch den demographischen Wandel der Bedarf an altersgerechten, barrierefreien sowie flexibel nutzbaren Wohnungen.

Die wichtigsten Baupotenziale für die Zukunft liegen daher auf der bestehenden Siedlungs- und Verkehrsfläche. Mit dem Ausbau von Dachgeschossen und dem Umbau von Gebäuden kann gleichzeitig die ökologische Modernisierung des Bestandes effizient vorangetrieben werden. Die Überbauung von flächenfressenden Discountern, Parkplätzen und weiteren versiegelten und ineffizient genutzten Flächen bietet die Chance, bestehende Stadtquartiere sozial und ökologisch weiterzuentwickeln und am Bedarf der Kiezbewohner orientierte Wohnungen zu bauen (z.B. bezahlbare altersgerechte Wohnungen).
Dringend notwendig für einen zielorientierten Diskurs über die zukünftige Stadtentwicklung ist es, dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung endlich dem Beispiel von Hamburg folgt und die behördenintern ermittelten Wohnbauflächenpotenziale datenschutzkonform und nutzerfreundlich veröffentlicht. Erst dann kann beurteilt werden, welche Baupotenziale strittig sind, ebenso aber auch, welche noch nicht erfasst sind.

Der BUND Berlin geht davon aus, dass bei einer systematischen Erfassung aller ökologisch tragbaren Baupotenziale sich die Frage nach einer Bebauung weiterer Grünfläche fast automatisch erledigt. Nach den von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und anderen Akteuren vorgelegten Analysen sind selbst für eine Vier-Millionen-Metropole genügend Wohnbaupotenziale vorhanden, mit denen die gewachsene Stadt klimagerecht, sozial verträglich und ökologisch zu einer Zukunftsstadt umgebaut werden kann. Diese Chance gilt es, durch eine Neuorientierung der Stadtentwicklung in der neuen Legislaturperiode zu nutzen,

Hinweis: Die Forderungen des BUND Berlin für die neue Legislaturperiode finden sich unter https://www.bund-berlin.de/service/publikationen/detail/publication/oekologisch-sozial-lebenswert-berlin-zur-klimaneutralen-stadt-machen-forderungen-des-bund-zur-legislaturperiode-des-berliner-abgeordnetenhaus-2021-bis-2026

Quelle: https://www.bund-berlin.de/fileadmin/berlin/publikationen/Allgemein/BUND_Neubau_200000.pdf

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